Visuelle Musik
Younghi Pagh-Paan
AA-GA – 雅歌 (2015)
Musikfilm
von Tobias Klich mit Ulrike Brand (Violoncello), Cheng-Wen Chen
(Kalligraphie) und Younghi Pagh-Paan mit einem Gedicht von Cheon
Sang-Byeong
Der
Film verknüpft mehrere Ebenen miteinander. Nahaufnahmen des kraftvollen
Spiels der Cellistin Ulrike Brand stehen im Kontrast zur langsam
entstehenden Kalligraphie des Stücktitels. Pinsel und Cellobogen
korrespondieren dabei in Parallelmontagen, Musizieren als Schreiben.
Auch zu Beginn steht eine sprachliche Inspirationsquelle für dieses
Werk: ein Gedicht von Cheon Sang-Byeong (1930-1993), gesprochen von
Younghi Pagh-Paan:
klarer als das Morgenlicht,
dichter als die ganze Welt,
in Schmerzen, tiefer als die Nacht
sind sie davongegangen
Sie schreibt zu ihrem Stück: »AA-GA:
Zwei chinesische Ideogramme, die man nicht wörtlich übersetzen kann.
Ihre Bedeutung könnte sein: ›Würdigung im Lied‹. Ich habe die Absicht,
unter diesem Titel einen Zyklus von mehreren Stücken für Soloinstrumente
zu schreiben. Für das erste dieser Stücke habe ich das Violoncello
gewählt. Dieses Instrument ist mir nahe wegen der Tiefgründigkeit seiner
Klangfarben. Seine Ausbrüche sind niemals oberflächlich. Ich möchte
diese Musik jenen widmen, die ihr Leben geopfert haben für die Wahrheit,
die ihnen unausweichlich schien. Jedes dieser Stücke wird die
Erinnerung an einen bestimmten Menschen wach halten, dessen Namen ich
aber nicht preisgeben möchte.
Der
formale Fluss meines Stückes für Violoncello leitet sich direkt von
einem kurzen zeitgenössischen koreanischen Gedicht her. Seine Verse
sprechen von der Durchsichtigkeit des Wassers, der unauflöslichen
Verknüpftheit des Universums, vom abgrundtiefen Schmerz in den
Finsternissen der Nacht. Im Gedicht sind dies Metaphern für längst
verstorbene Menschen, deren Wesen in uns lebendig geblieben ist. Die
metaphorischen Ideen des Gedichtes versuche ich musikalisch zu
übertragen.
Zwei
gegensätzliche Charaktere erscheinen als Antinomien in dreifachen
Variationen. Diese fortschreitenden Veränderungen haben als Ziel,
prozeßhaft die immanenten Gegensätze zu enthüllen. Ein drittes Element,
den musikalischen Duktus aufhellend, erscheint zwischen den Variationen
und gewinnt gegen das Ende mehr und mehr an Durchsichtigkeit.
Durch
den Prozess der Kompositionsarbeit versuche ich, in mir selbst die
Erinnerung an vergangene Zeiten und Geschehnisse wach zu halten, die man
gerne und andauernd verdrängt.«
Elnaz Seyedi
a very close look from far away (2016)
für Violoncello, Gitarre und Video
Video: Elnaz Seyedi und Babak Vandad
Auch
Elnaz Seyedi beschäftigt sich mit Kalligraphie. In ihrer audiovisuellen
Komposition unternimmt sie eine musikalische Transformation von
persischer Schrift. Das Stück ist inspiriert von einem Gedicht von
Sohrab Sepehri (1928-1980):
Ich werde ein Boot bauen
Ich werde es ins Wasser lassen
Ich werde mich entfernen von dieser seltsamen Erde
Bei
einer Aufführung der Komposition wird in einem zugespielten Video die
Entstehung der einzelnen persischen Schriftzeichen des Textes in
Zeitlupe gezeigt. Synchron dazu kommt es zu einer »Übertragung« ins
Musikalische: Die Linienführung der Schrift wird zur Linienführung der
Tonhöhen. Mit fließenden Glissandi und einzeln gesetzten (Ton-)Punkten
wird der Text quasi musikalisch auf den Instrumenten geschrieben. Was
man dann hört als eine Art »Schriftmelodie« hat nichts mit der
Sprachmelodie oder der semantischen Bedeutung der Worte zu tun und doch
öffnet sich auf diese Weise eine musikalische Atmosphäre, die auch einen
Zugang zum Inhalt des Gedichtes von Sohrab Sepehri herstellt.
Cheng-Wen Chen
Libra (2013)
für einen Beckenspieler mit Live-Elektronik
In
der Komposition Libra scheint ebenfalls es, als würde hier geschrieben,
dieses Mal allerdings auf einem Becken. CHEN Chengwen entlockt dem
scheinbar vertrauten Orchesterbecken durch verschiedenste Arten des
Reibens, Schlagens und Kratzens ganz ungewohnte Klangwelten, bringt es
auf diese Weise schließlich sogar zum »Singen« durch Anregung einzelner
Obertöne, um zum Schluss in den doch so bekannten
Orchesterbeckenschlägen nun ganz Anderes hören und wahrnehmen zu
können. Mit dem Bild der Waage – im ständigen Prozess des klanglichen
Ausbalancierens – begibt sich dieses Stück auf die Suche nach dem
Unbekannten im Vertrauten.
Der
Musikfilm zu Libra von Tobias Klich versteht sich als visuelle
Interpretation dieser Komposition. Durch extreme Nahaufnahmen sowie
ungewöhnliche, ständig wechselnde Perspektiven auf den Musiker und sein
Instrument soll dabei mit nahezu graphischen Abstraktionen eine intimere
Wahrnehmungsebene eröffnet werden.
Ali Gorji
Und Leben ist Wort-zu-Wort-Beatmung (2017)
Musikfilm von Tobias Klich mit Angela Postweiler (Stimme) und Alexandros Giovanos (Schlagzeug)
Ali Gorji
Und Leben ist Wort-zu-Wort-Beatmung (2017) UA
9 Episoden mit »en brèche« für Stimme und Schlagzeug
Episode 1 -3
In
den 9 Episoden, die im Zyklus Und Leben ist Wort-zu-Wortbeatmung – ein
Zitat von Schirin Nowrusian – en brèche umrahmen, verwandelt sich das
Gestische in eine fraktal strukturierte Schlagzeugpartie, welche mit
einer von der Stimme vorgetragenen und lediglich aus Phonemen
bestehenden Schicht gänzlich verschmilzt. Die verwendeten Phoneme sind
zwar unterschiedlichen Sprachen entnommen, sie entziehen sich aber
jeglicher semantischen Bindung und entwickeln im Kontext dieser
sprachlichen Ausdruckslosigkeit einen eigenen physischen und damit
musikalischen Ausdruck.
Tobias Klich
Goyas Hände (2013)
für einen Gitarristen mit Video
In
Goyas Hände werden freigelegte Hände aus Goyas Radierungszyklus Los
Caprichos (1799), montiert zu einem Video, auf eine Gaze projiziert,
hinter der ein Gitarrist dieselben Gesten aus Goyas Bildern pantomimisch
in sein Spiel integriert. Auch dabei geht es um eine inszenierte
»Freilegung« der Hände.
Ali Gorji
Und Leben ist Wort-zu-Wort-Beatmung (2017) UA
Episode 4 -6
Cheng-Wen Chen
Libra (2014)
Musikfilm von Tobias Klich mit Cheng-Wen Chen (Becken)
Ali Gorji
en brèche
für Stimme solo
In
en brèche für Sopran solo kommt der Ausdruck der Ausdruckslosigkeit in
vielerlei Hinsicht in der Behandlung des Textes – eines gleichnamigen
Gedichts von Schirin Nowrusian – sowie in kompositorischer Behandlung
von gestischen Kopfbewegungen der Sängerin zum Tragen. Der Text wird
hierbei in seine Silben zerteilt, dessen Anzahl die Basis für die
Zeitgestaltung der Komposition liefert. Die Fragmentierung der Wörter
führt zudem zum Hervorheben der Bedeutung von Phonemen und lässt sie zu
beinahe selbständigen kompositorischen Elementen erscheinen.
Younghi Pagh-Paan
AA-GA I (1984)
für Violoncello solo
Ali Gorji
Und Leben ist Wort-zu-Wort-Beatmung (2017) UA
Episode 7 -9
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