Aufschreie und Stoßseufzer
Sidney Corbett
Gebet - Die Göttliche Dunkelheit (1999)
für Mezzosopran
Nach
einem Text des Pseudo-Dionysios Areopagita (Mystische Theologie und
andere Schriften) in einer deutschen Übersetzung von Prof. Dr. Walther
Tritsch
O Dunkel des Schweigens
Es wäre nicht genug, von dir zu sagen, dass du vor lauter Finsternis
In strahlendstem Licht aufglänzest,
nicht genug, von dir zu glauben, dass dein Glanz sich immer gleich bleibe,
unstörbar und unzerstörbar, nie zu sehen und nie zu erreichen.
Es wäre auch nicht genug, von dir zu sagen,
dass du, Dunkelheit des Urgrunds, jenen vollkommenen Geist,
der die Augen des Daseins und die Augen des Seins zu schließen vermöchte,
mit der Leuchtkraft deiner Fülle, bis zum Bersten blendest
und schöner bist als die Schönheit selbst.
Dies ist mein Gebet. Amen
Sidney Corbett, 1960 in Chicago geboren, studierte Musik und Philosophie, u. a. an der Yale University,
und war 1985 bis 1988 in der Kompositionsklasse von Prof. György Ligeti
in Hamburg. Seit 2006 ist er Professor für Komposition an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim.
Sidney Corbett ist ein Künstler, der abseits des Mainstreams der Neuen
Musik seine eigenständige und nicht weniger explizit zeitgenössische
Position vertritt. Seine Musik hat sich inzwischen fest in der
internationalen Musikwelt etabliert und wird weltweit von führenden
Orchestern, Ensembles und Solisten aufgeführt. Ein besonderer
Schwerpunkt seiner jüngeren Arbeit liegt im Bereich des Musiktheaters.
Inzwischen liegen sechs Opern vor. Die jüngste, „Die Andere“ nach einem
Libretto von Christoph Hein, wurde im März 2016 am Theater Magdeburg uraufgeführt. Zu seinen aktuellen Projekten gehören eine neue Oper nach einem Sujet von Pier Paolo Pasolini für das Theater Osnabrück sowie ein Kammerorchesterwerk im Auftrag der San Francisco Contemporary Chamber Players. Im Jahr 2017 ist bei Edition Kopernikus die CD „Postscript” mit seiner Klaviermusik erschienen, eingespielt von Florian Heinisch. Seine Musik wurde u. a. bei Kreuzberg Records, Cybele Records, Mode Records, CRI, Edition Zeitklang, Blue Griffin und Ambitus Records veröffentlicht. Sidney Corbetts Werke werden bei Edition Nova Vita verlegt und von Edition C. F. Peters weltweit vertrieben.
György Ligeti
aus: Études pour piano, Vol. I (1985)
Nr. 5 Arc-en-ciel
Ligetis fünfte Klavieretüde kombiniert mittelalterliche Lamento-Motivik mit einer fast jazzähnlichen Harmonik.
“ … dieses langsame, wie ein dekadent entschwebendes Jazz-Nocturne
wirkende kleine Juwel symbolisiert für mich den "neuen" Ligeti -
außerordentlich streng in der harmonischen Konstruktion und gleichzeitig
von starker emotionaler Aussage. Es muss ein bisschen das alte
Versteckspiel sein, das Ligeti dieses Stück, anlässlich eines Vortrags
in Wien, etwas leichthin als die "Leiche der Tonalität" bezeichnen
ließ.“ Volker Banfield
Susanne Betancor
aus: Aufschreie und Stoßseufzer (2017)
für Gesang, Horn und Klavier UA
Dieses Penetrante
Genetisch
Grün
Fleisch
Ich hasse sie
Keine Angst
Mein Mann
Meine Kinder
Die
„Aufschreie & Stoßseufzer“ entstanden 2017 im Rahmen des
Spezialisierungsstudiums zeitgenössische Komposition bei Dieter Ammann
an der Hochschule Luzern. Sie sind Liederzyklus und Bühnenmusik. In
ihrem Bühnenwerk „Als Ob oder Mittwochs bin ich immer so müde“ können
sie beliebig zugeordnet, wiederholt und eingesetzt werden. Sie kommen
aus den Dialogen; sprechen geht in Singen über und umgekehrt. Das
Prinzip Arie/Rezitativ, ohne Oper sein zu müssen und entsprechend frei
von Manierismus, eher „rough“, aber präzise. Im Grunde Motetten im Sinne
des Wortes.
Dieses Penetrante
Dieses penetrante Überpräsente, die Zeigegeilheit, man schläft ja gar nicht mehr.
Genetisch
Ist das genetisch, sind das die Gene, hält mich die Brüstung an der ich lehne?
Ist das noch Sex oder schon Gender, fall' ich vom Turm, hält das Geländer?
Grün
Nachts träum ich alles grün, Hose Hemd und T-Shirt grün.
Wenn ich mich berühre, alles was ich spüre: Grün.
Fleisch
Fleisch...ist mir recht...sauber portioniert verpackt in Plastik hinter Glas stört es keinen.
Ich hasse sie
Ich hasse sie wie Keinen und Niemand, sie zieht mich ab, häutet mich und kehrt das Schlechte hervor.
Keine Angst
Keine Angst vor schwarzen Zahlen, Kuchen backt sich nicht von selbst.
Mein Mann
Mein Mann lebt auf großem Fuß und ich wohne in seinem Fußabdruck.
Meine Kinder
Meine Kinder lieben mich nicht. Sie verachten mich. Sie korrigieren mich hasserfüllt wenn ich vom Ersparten veräussere.
Susanne Betancor
ist Dichterin, Komponistin, Songschreiber-Sängerin. Zentrum ihres
Schaffens ist das Lied und die Komposition und Improvisation als
gesamtkünstlerischer Ausdruck in Wort und Ton: als Dichterin darauf
spezialisiert, Vertrautes in die Fragwürdigkeit zu verrücken, als
Komponistin liebt sie es kurz und prägnant.
Rainer Rubbert
Paula Modersohn-Becker – Portrait im Regen, Lee (2016)
für Mezzosopran und Klavier UA
Ich seh den Regen rinnen
Am Fenster rinnt er hinab
In der Scheibe diesem Rinnen
Seh ich dein Gesicht
Rinnen
Regen
Rinnen
Rittersporn die Farbe deines Kleids
Die Augen gesenkt
Die Lippen verschlossen
Regen
Rinnen
Rittersporn
Ich seh den Regen rinnen
Paris, am Nachmittag
die Dächer glänzen grau
Ich seh im Fenster
mein Gesicht in deinem
Mein hochgerecktes Kinn
So heiß und trocken war der Tag
So leicht und gelb der Sommertag
An dem ich dich zum ersten Mal sah
So mal ich dich, so mal ich mich
In meinen Augen blau
Dich und mich
Regen
Rinnen
Rittersporn
was für ein schönes Rinnen
was für ein lichtes Blau
Ich lege meine Fingerkuppen
in dieses kühle Rinnen
in dieses lichte Blau
Regen
Rinnen
Rittersporn
Mein Gesicht in deinen Augen
Das Kinn hochgereckt
So seh ich dich
Regen
Rinnen
Rittersporn
Tanja Langer
Rainer Rubbert wurde 1957 in Erlangen geboren und wuchs in Berlin auf. 1975-1981 studierte er Komposition an der Hochschule der Künste Berlin bei Prof. Witold Szalonek, der ihn in seiner Radikalität – den vermeintlichen Widerspruch zwischen avanciertem musikalischen Material, kompositorischer Konsequenz und ungehindertem Ausdruck aufzulösen – maßgeblich beeinflusste. Er erhielt zahlreiche Preise und Stipendien, u.a. 1979 den Prix Marcel Josse, 1986/87 das Cité des Arts-Stipendium Paris, 1989 den Kompositionspreis Budapest, 1992 den Kunstpreis Musik der Akademie derKünste, 2003 das Villa-Serpentara-Stipendium, 2007den Carl-von-Ossietzky-Kompositionspreis und 2012 den Premio Città di Fossacesia. Seit 1989 ist er einer der künstlerischen Leiter der Konzertreihe Unerhörte Musik. 2008 schrieb er die Kleist Oper nach dem Libretto von Tanja Langer. 2013 wurde er mit dem Deutschen Musikautorenpreis ausgezeichnet.
Er lebt und arbeitet in Berlin.
Samuel Tramin
Songs of an Unknown Housewife (2015/2019)
für Mezzosopran und Klavier UA
(Texte: Tanja Langer)
Gedicht einer unbekannten Hausfrau (2019)
Ballade vom Tigermann (2017)
Lady at the KadeWe (2019)
I. Gedicht einer unbekannten Hausfrau
Mein Salatkopf kommt aus Spanien, die Tomaten sind aus Paraguay
die Gurke wuchs in Holland heran und die Bohnen in Ägypten
die Mütter von Beslan die Mütter in Palästina
Ich zerschneide die Tomaten in Achtel
mein Kind spielt sie auf dem Klavier
ich zerschneide die Gurke in Scheiben
die Ringe des Baumes sagen sein Alter
ich zerschneide die Salatblätter
und breche die Bohnen mein Kind spielt ein schönes Lied
ich gieße Essig und Öl
auf die Salatblätter aus Spanien die Tomatenachtel aus Paraguay
die Gurkenscheiben aus Holland und die Bohnen aus Ägypten
mein Kind übt eine Etüde
die gleichen Gesten machen
die Mütter von Beslan
die Mütter in Palästina
die Mütter in Uganda und die Mütter in Paraguay
ich nehme Salz
zwischen meine Finger wie sie
ich nehme Pfeffer
den haben nicht alle
und eine halbe Zitrone
ich mische die Blätter die Achtel
die Scheiben und die Stängelchen
und sehe die gewaltsam geräumte Hütte in Ramallah
das Klassenzimmer der erschossenen Kinder in Beslan
den Schuß des Todesschwadrons auf Kuba
und rufe mein Kind am Klavier
Der Sänger vergisst seine Noten.
Der Todesschwadron erschießt einen Jungen.
Ein Mann baut sein Haus wieder auf.
Ich habe zu essen, zu trinken, zu lesen, ein Dach überm Kopf
ich darf sagen, was ich denke
nur wem?
II. Die Ballade vom Tigermann
Haltlos, rastlos und brutal
schwammig, weichlich und fatal
Du wickelst mich um deinen Finger
des Nachts sitzt du an meinem Bett
flüsterst Voodoo und dann
na, Frau A.,
wann fangen wir Feuer?
Du malst dich als Tiger
die Streifen giftgrün
Voodoo
gezeugt in Gewalt
ich seh dich schweifen
durch Voodoo
Du kannst gut reden
ein echter Charmeur
doch wenn du es willst
wirst du ein andrer
haltlos, rastlos und brutal
nur töten kennt
dein Wörterbuch der Liebe
brichst du aus der Dunkelheit hervor
der Liebe
Sprung
ich seh dich hellblau, gelbe Töne
schillernd schön und raffiniert
ich halt dein Maul voll Zärtlichkeit
einen tiefen Traum entlang
deine Augen glänzen schwarz
Was man nicht erklären kann,
macht den Mensch zum Menschen
deine Stimme ist so sanft
du bewegst dich leicht
Voodoo
es war auf der Straße
sie kam dir ganz nah
das Messer in deiner Hand
du hast sie geliebt
und nun ist sie hin
haltlos, schwammig und fatal.
III. Lady at the KaDeWe
At fiftyfour
her sexual life had disappeared
in duties hormones deaths
deaths in the family
deaths of illusions
deaths of cats
duties beauties appletrees
captured commitments
echoing the tender kiss
of memories and those
of landscapes far away
and sometimes
of her lover´s longing
Tanja Langer
György Ligeti
aus: Études pour piano, Vol.II (1994)
Nr. 7 Galamb Borong
„Der
Titel der siebten Etüde »Galamb borong« evoziert eine imaginäre
gamelanartige Musik, beheimatet auf einer fremden Insel, die auf keiner
Landkarte zu finden ist. Für denjenigen, der ungarisch versteht, wird
der Titel auch eine ganz andere Bedeutung haben, doch ist sie für die
Eigenart der Musik irrelevant – wesentlich ist nur der Wortklang des
Titels.
Die
Musik selbst ist in einem »schräg äquidistantialen« Tonsystem
komponiert. Die gängige Klavierstimmung lässt die zwölftönige und die
sechstönige Äquidistantialität zu, nicht aber die fünftönige (wie im
javanischen Slendro), deren Intervalle in der temperierten Stimmung
unauffindbar sind. Nun habe ich jedoch eine andere Art von
»Slendro-Klangwelt« ersonnen, die weder chromatisch noch diatonisch,
aber auch nicht ganztönig ist: Sie ist in der üblichen temperierten
Klavierstimmung versteckt vorhanden, wurde aber vor »Galamb borong«
nicht zu Gehör gebracht.“ G.L.
Rainer Rubbert
Germaine Richier – Je suis la femme (2019)
für Mezzosopran und Klavier
Je suis / la femme accroupie
Je suis / la femme accroupie
Je suis / la femme accroupie
La femme accroupie
La femme accroupie
Je suis la femme accroupie
Ich bin die Kröte, die den Herrn ansingt
Der Stein, der seine Gebete verflucht
Crrr ... pppp
ich spanne den Bogen
quer durch die Luft
die Erde im Moos
im Schlamm erhebe ich mich
meine Glie - der
den Bogen gespannt
werf ich meine Netzte
über den Stein der lächelt und flucht
ccrrou - pie
je suis la femme accroupie
der Donner ist laut
er hört meine Lieder
je suis la femme
die sich erhebt
mit törichtem Lächeln
geduckt zu dem Stein
verflucht ist die Erde
verflucht ist der Schlamm
verflucht meine Glieder
je suis la femme
ich spanne den Bogen
leicht fliegt mein Pfeil
Gesang ist der Donner
ich finde ihn schön
Je suis / la femme accroupie
Je suis / la femme accroupie
Accrr ou pie
L´araignée la fourmi
Je suis la femme accroupie
Je suis / la femme accroupie
La femme accroupie
Tanja Langer
Georges Aperghis
aus: Conversations (1985)
Dialogue amoureux B
|
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen