Die moderne Stimme
Johannes Schöllhorn
vor Augen (1993)
für Sprecher, Flöte, Violoncello und Klavier
"vor
Augen" ist der Sonderfall eines Melodrams, in dem alles Melodramatische
- wenn überhaupt vorhanden - allein in die Instrumente verlegt ist und
die Sprechstimme einen hintergründigen Faden, der aber alle
Elemente
des Stücks zusammenhält, bildet. Nur selten tritt dieser Faden
erkennbar an die Oberfläche des Klangs und weckt mit kurzen Wortfetzen
weit gefächerte Assoziationen. Wie die Personen und die
Landschaft in dem imaginären Buch, von dem in Martin Kalteneckers Text
erzählt wird, tauschen in "vor Augen" Vorder- und Hintergrund ihre
Rollen. Die Musik als landschaftliches Kolorit und Dekor im Melodram
wird zum Vordergrund, wogegen die Erzählung in der Sprechstimme fast im
Hintergrund zu verschwinden scheint. So wird der Blick auf die Elemente
Text und Musik - nicht diese Elemente selbst - zum Thema dieses Stücks.
Tote Düfte. übliches Verirren.
Und so fehlte jegliche äußere
Handlung, -
kein Nachtstück.
Alles in falscher Ordnung.
was geschieht und wo, diese beiden
stecken sich immer gegenseitig an:
ich wollte
Mehrfach Gewitter.
Unsteter Sommer.
ein Buch, in dem Ort und Geschehen
sich den Rücken zukehren oder
nebeneinander herlaufen. Und wenn
nun einmal die Handlung als
Hintergrund diente ? Ich hatte ein
Buch vor Augen, in dem die Handlung
nur in Trümmern vorkommt, wie ja
alles hier; wo Äußerungen nicht mehr
Gewicht hätten, als die Glühwürmer
oder die fernen Geräusche einer
generellen Nacht, durch die sich,
wie beglänzte Fäden unter
knisternden Sternen, eine Hand-
Das Buch hält den Atem an
(Sommer im Sommer).
lung
Rosen und Flöten,
zynische Balkonszene.
windet.
Julien Jamet
Visage de l’echo (2015 für BRuCH geschrieben)
für Sopran, Flöte, Violoncello und Klavier
Air
"un peu profond ruisseau"
A nuage muet une morale rie
il évidera le visage de l'écho
avec une parole même si la coagulation
de la sève le délie
ici, du sol. On a, père, ramé folie
analysé le dé par une face colimacon
à l'helice le zéro d'à côté
le minime six élide la série.
Or, à demi tiré du visible ni su
ni mu sinon ironie timide buée
il anihil le duel de la mesure
paradis avec la vertité tuée
avive d'acide le silence cela:
ligne en égale (lac inutil) la
mort (que l'eau n'émonde son havre de durée)
Jacques Roubaud
Gordon Kampe
Feedbacks/Löffel/Tanzbares (2011)
für Flöte, Violoncello, Piano und Löffel
»Feedbacks/Löffel/Tanzbares – eigentlich sagt es der Titel schon, worum es geht. Ich amalgamiere mit Vorliebe Dinge und Materialien, die nicht zusammengehören. Kleine, merkwürdige Feedbacks aus Low-Tech-Boxen treffen auf Melodien. Löffel, insbesondere ein IKEA-Vorlegelöffel, spielen eine wichtige Rolle, aber natürlich auch ein Schneebesen. Hach! Dieser Schneebesen! Die billigsten Geräte machen die schönsten Klänge. Und außerdem traue ich Musik häufig nur, wenn sie tanzbar ist. Sollte Ihnen danach sein, schwofen Sie doch gerne die ein oder andere Runde über die Bühne!«
Gordon Kampe wurde 1976 in Herne geboren. Nach einer Ausbildung zum Elektriker, Kompositionsstudium bei Hans-Joachim Hespos, Adriana Hölszky und Nicolaus A. Huber. Außerdem Studium der Musik- und Geschichtswissenschaften in Bochum. Mehrfache Auszeichnungen, darunter der Stuttgarter Kompositionspreis (2007 und 2011), einen Komponistenpreis der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung (2016), den Rom-Preis (Villa Massimo) sowie den Schneider-Schott-Preis (2016). Er erhielt u.a. Stipendien der Berliner Akademie der Künste und Arbeitsstipendien für die Cité des Arts Paris, die Künstlerhöfe Schreyahn, Schöppingen, die Villa Concordia sowie für das SWR-Experimentalstudio. 2008 Promotion mit einer Arbeit über Märchenopern im 20. Jhdt. 2012-2017 war Kampe gewähltes Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften/Leopoldina und ist seit 2017 Professor für Komposition/Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.
Ricardo Eizirik
re/wind/re/write break (2014/16)
für Violoncello, Klavier und 2 Performer
„re / wind / re / write“ nimmt als Ausgangspunkt die Amateur-, „Do It Yourself“-Kassettenkultur der späten 1980er bzw. frühen 1990er. Das Stück beschäftigt sich kompositorisch mit den vier Hauptfunktionen eines Kassettenrecorders, nämlich Vor- und Zurückspulen sowie Aufnehmen und Wiedergeben. Das Cello funktioniert wie eine Kassette und seine Gestik wird immer in Geschwindigkeit und spiel Richtung manipuliert um einem flexiblen plastischen Effekt zu erzeugen. Die anderen Musiker steuern diesen imaginären Kassettenrecorder und verstärken alle Nebenklänge, die aus diesem Prozess entstehen.
Geboren 1985 in Ribeirão Preto (Brasilien), verbrachte Ricardo Eizirik seine Kindheit in Schweden. An der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul (Brasilien) erlangte er seinen Bachelor in Musik/ Komposition unter Anleitung von Antonio C. B. Cunha. Weitere Studien führten ihn an die Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, wo er im Sommer 2012 seinen Master in Komposition bei Isabel Mundry abschloss, gefolgt von einem Master in Transdiziplinarität im Jahr 2013. 2013 leitete er die vom Institute for Computer Music and Sound Technology ICST und der ZHdK veranstaltete Konzertreihe Generator. 2014 gründetete er mit Michelle Ziegler die Kompakt am Montag-Konzerte für aktuelle Musik in Zürich. Seit 2017 ist er Küntlerischer Leiter des Basler Neue Musik Ensemble Lemniscate. Sowohl in seiner musikalischen Produktion als auch in seiner kollaborativen und transdisziplinären Arbeit beschäftigt er sich in hohem Maße mit dem Alltag sowie mit soziokulturellen Fragen und mit den Räumen, in denen Kunst und Musik dargestellt, wiedergegeben und wahrgenommen werden. Er hat unter anderen mit Musikern und Ensembles wie Ensemble Recherche (DE), Ensemble Intercontemporain (FR), Collegium Novum Zürich (CH), Neue Vocalsolisten Stuttgart (DE), Internationale Ensemble Modern Akademie (DE), ensemble Soundinitiative (FR), Ensemble Aksiom (NO), Ensemble EUNOIA (CH), Ensemble Linea (FR), Umeduo (SWE/CH), Ensemble Mosaik (DE), Ensemble Proton (CH) Ensemble BRuCH (DE) gearbeitet. Dazu hat er eine langjährige Kollaboration mit Künstlerin Swami Silva (BR/DE) entwickelt. Derzeit absolviert er ein Doktoratsstudium "Dr.Artium" an der Kunstuniversität Graz (A) in Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste (CH). Ricardo ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und unterrichtet Interpretation experimenteller Musik an der Zürcher Hochschule der Künste.
Beat Furrer
Invocation IV (2003)
für Sopran und Bassflöte
Beat Furrer wurde 1954 in Schaffhausen geboren und erhielt an der dortigen Musikschule seine erste Ausbildung (Klavier). Nach seiner Übersiedlung nach Wien im Jahr 1975 studierte er an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Dirigieren bei Otmar Suitner sowie Komposition bei Roman Haubenstock Ramati. Im Jahr 1985 gründete er das Klangforum Wien, das er bis 1992 leitete und dem er seitdem als Dirigent verbunden ist. Im Auftrag der Wiener Staatsoper schrieb er seine erste Oper Die Blinden, seine zweite Oper Narcissus wurde 1994 beim steirischen herbst an der Oper Graz uraufgeführt. 1996 war er „Composer in residence“ bei den Musikfestwochen Luzern. 2001 wurde das Musiktheater Begehren in Graz uraufgeführt, 2003 die Oper invocation in Zürich und 2005 das vielfach ausgezeichnete und gespielte Hörtheater FAMA in Donaueschingen. Seit Herbst 1991 ist Furrer ordentlicher Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Graz. Ende der 90er hat er gemeinsam mit Ernst Kovacic „impuls“ als internationale Ensemble- und KomponistInnenakademie für zeitgenössische Musik in Graz gegründet. Eine Gastprofessur für Komposition nahm er 2006-2009 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt wahr. 2004 erhielt er den Musikpreis der Stadt Wien, seit 2005 ist er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 2006 wurde er für FAMA mit dem Goldenen Löwen bei der Biennale Venedig ausgezeichnet. 2010 wurde sein Musiktheater Wüstenbuch am Theater Basel uraufgeführt. 2014 erhielt er den großen österreichischen Staatspreis. 2018 erhielt er den Ernst-von-Siemens Musikpreis für "ein Leben im Dienste der Musik". Seine Oper La Bianca Notte (Die helle Nacht) nach Texten von Dino Campana wurde im Mai 2015 in Hamburg uraufgeführt. Derzeit schreibt er an seiner nächsten Oper Violetter Schnee mit einem Libretto von Händl Klaus, basierend auf einer Vorlage von Wladimir Sorokin. Beat Furrer hat seit den 1980er Jahren ein breites Repertoire geschaffen, das von Solo und Kammermusik bis zu Werken für Ensemble, Chor, Orchester und Oper reicht.
Matthias Krüger
Wie ein Stück Fett (Redux) (2015/16)
für Sopran, Altflöte, präpariertes Violoncello und präparierten Konzertflügel
—
Das Publikum wird gebeten, den Programmtext erst mit Beginn des
Stückes, d.h. parallel zum Klang des Violoncellos, zu lesen. —
„Zuweilen
fahre ich empor aus dem Dämmer dieser halben Träume und sehe für einen
Augenblick wiederum den Mondschein auf dem gebauschten Fußende meiner
Decke liegen wie einen großen, hellen, flachen Stein, um blind von neuem
hinter meinem schwindenden Bewusstsein herzutappen, ruhelos nach jenem
Stein suchend, der mich quält – der irgendwo verborgen im Schutte meiner
Erinnerung liegen muss und aussieht wie ein Stück Fett.
Eine
Regenröhre muss einst neben ihm auf der Erde gemündet haben, male ich
mir aus – stumpfwinklig abgebogen, die Ränder von Rost zerfressen, – und
trotzig will ich mir im Geiste ein solches Bild erzwingen, um meine
aufgescheuchten Gedanken zu belügen und in Schlaf zu lullen.
Es gelingt mir nicht.
Immer
wieder und immer wieder mit alberner Beharrlichkeit behauptet eine
eigensinnige Stimme in meinem Innern – unermüdlich wie ein Fensterladen,
den der Wind in regelmäßigen Zwischenräumen an die Mauer schlagen läßt:
es sei das ganz anders, das sei gar nicht der Stein, der wie Fett
aussehe.
Und es ist von der Stimme nicht loszukommen.
Wenn
ich hundertmal einwende, alles das sei doch ganz nebensächlich, so
schweigt sie wohl eine kleine Weile, wacht aber dann unvermerkt wieder
auf und beginnt hartnäckig von neuem: gut, gut, schon recht, es ist aber
doch nicht der Stein, der wie ein Stück Fett aussieht. –
Langsam beginnt sich meiner ein unerträgliches Gefühl von Hilflosigkeit zu bemächtigen.
Wie
es weiter gekommen ist, weiß ich nicht. Habe ich freiwillig jeden
Widerstand aufgegeben, oder haben sie mich überwältigt und geknebelt,
meine Gedanken?
Ich weiß nur, mein Körper liegt schlafend im Bett, und meine Sinne sind losgetrennt und nicht mehr an ihn gebunden. –
Wer
ist jetzt »ich«, will ich plötzlich fragen; da besinne ich mich, daß
ich doch kein Organ mehr besitze, mit dem ich Fragen stellen könnte;
dann fürchte ich, die dumme Stimme werde wieder aufwachen und von neuem
das endlose Verhör über den Stein und das Fett beginnen.
Und so wende ich mich ab.“
(aus: Gustav Meyrink, Der Golem, 1915)
Matthias Krüger wurde 1987 in Ulm geboren und wuchs in Brüssel und Trier auf. Er studierte Komposition sowie Romanistik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und an der Universität zu Köln sowie als Gaststipendiat an der Sorbonne in Paris und der Columbia University in New York City. Zu seinen Kompositionslehrern zählen neben Johannes Schöllhorn auch Krzysztof Meyer und Fabien Lévy. Neben Teilnahmen an Festivals wie den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik Darmstadt, der impuls-Akademie Graz oder dem Komponistentreffen in Görlitz/Zgorzelec bezog er besondere künstlerische Anregungen durch Meisterkurse und persönliche Begegnungen mit Komponisten wie Hans Abrahamsen, Mark André, Georges Aperghis, Chaya Czernowin, Georg Friedrich Haas, José-María Sánchez-Verdú und Vladimir Tarnopolski sowie das Kompositionsseminar von Nils Vigeland an der New York University. Er wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, darunter Jugend komponiert, ERASMUS, DAAD sowie mit einem zweiten Preis beim Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Hochschulwettbewerb 2013 in Berlin, dem Sonderpreis des 26. Siegburger Kompositionswettbewerbs 2014, dem Bernd-Alois-Zimmermann-Stipendium der Stadt Köln 2015 sowie dem Kompositionspreis Prix Chevillion-Bonnaud des Internationalen Klavierwettbewerbs Orléans 2016. Daneben war er 2018 für den Gaudeamus Award sowie mehrfach für den Förderpreis für junge Künstler NRW nominiert. Den Herbst 2015 verbrachte er als Artist-in-Residence mit einem Stipendium der Kunststiftung NRW in Istanbul, zudem war er Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Derzeit interessiert ihn in seiner Musik vor allem das Arbeiten mit Körpern, Räumen und kulturellen Konnotationen. Im Zentrum steht ein holistischer Ansatz, alles an der Aufführung zu musikalisieren, und den Musiker nicht als Musiker (d.h. in einer Rolle), sondern als Mensch erscheinen zu lassen, der mit seinen Grenzen konfrontiert ist und sich in ständiger Bewegung daran abarbeitet. Seine Musik wurde gespielt in Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz, Spanien, Kanada und den USA, u.a. bei Festivals wie dem ECLATFestival Stuttgart, den Donaueschinger Musiktagen, Gaudeamus Muziekweek, Acht Brücken – Musik für Köln, Festival de Royaumont, der Northwestern University New Music Conference – NUNC! in Chicago oder dem Mallorca Saxophone Festival und erhielt Aufträge u.a. von Westfalen Classics 2017, der NewTalents Biennale Cologne 2014 sowie den Festivals Romanischer Sommer Köln und Young Euro Classic Berlin 2013. Jeweils ein Solostück widmete er dem Saxophonisten Xavier Larsson Paez, der Pianistin Claudia Chan und dem Akkordeonisten Krisztián Palágyi. Seine Kompositionen wurden des weiteren aufgeführt von Ensembles wie dem Ensemble ascolta (Stuttgart), dem Ensemble Inverspace (Basel), dem Ma'alot Bläserquintett, dem Ensemble hand werk, mam.manufaktur für aktuelle musik, Ensemble BRuCH und dem Fukio Ensemble (alle Köln), sowie dem Ensemble der Internationalen Ensemble Modern Akademie (Frankfurt), Slagwerk Den Haag, Ensemble Oerknal (Den Haag), dem PluralEnsemble (Madrid) sowie Meitar Ensemble (Tel Aviv) und Solisten wie Werner Dickel, Neus Estarellas Calderón, Patrick Stadler oder Imri Talgam, und erklangen an Spielorten wie dem Konzerthaus Berlin, dem Palau de la Música Catalana in Barcelona oder Carnegie Hall New York. Hinzu kommen zahlreiche Rundfunksendungen im Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur, HR 2, SWR 2, WDR 3 sowie KölnCampus. Im Januar 2017 erschien seine Komposition LAL (First Draft) auf dem vom Ensemble hand werk eingespielten Album "Kurzwelle". In der Saison 2019/2020 wird eine Portrait-CD im Rahmen der Reihe "Edition Zeitgenössische Musik" beim Label WERGO erscheinen. Matthias Krüger lebt und arbeitet als Komponist in Köln und ist zudem am Institut für Musikwissenschaft/Sound Studies der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig.
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