Verborgene Landschaften Nikolaus Brass Songlines I (2006) aus : songlines, Zyklus für Streicher (2006/2007) für Violine solo „ Während seiner Zeit als Lehrer hörte Arkady zum erstenmal von dem Labyrinth unsichtbarer Wege, die sich durch ganz Australien schlängeln und die Europäern als „Traumpfade“ oder „Songlines“ und den Aborigines als „Fußspuren der Ahnen“ oder „Wege des Gesetzes“ bekannt sind. Schöpfungsmythen der Aborigines berichten von den legendären totemistischen Wesen, die einst in der Traumzeit über den Kontinent wanderten und singend alles benannten, was ihre Wege kreuzte – Vögel, Tiere, Pflanzen, Felsen, Wasserlöcher –, und so die Welt ins Dasein sangen.“ Die Vorstellung der „Songlines“, die Bruce Chatwin in seinem Roman The Songlines beschreibt, und die hier kurz zitiert ist, hat mich inspiriert, eine durchkomponierte Reihe von 6 Solo- bzw. Duo-Stücken für Streicher ebenfalls „songlines“ zu nennen. Der abendfüllende Zyklus wird eröffnet mit einem Prolog der Viola, gefolgt von einem Violin-Solo, den hier vorliegenden 12minütigen „songlines I“, denen sich im Gesamtverlauf eine kurze „Intermission“ der Viola anschließt, bevor das erste Duo, die songlines II für 2 Violinen, auftritt. Dem Violin-Duo folgt das längste und gewichtigste Stück des Zyklus, die songlines III für Viola, das ca. 25 Minuten Spieldauer aufweist. Songlines IV, ein Duo für Violine und Kontrabass, ein Solo für Cello (songlines V) und ein Duo für Violine und Viola (songlines VI) beschließen den Zyklus, bevor der Kontrabass seinen „Epilog“ spricht. Die Konzeption des Zyklus verdankt sich der Erfahrung, dass Denken in Musik, aber auch jede Wahrnehmung von Musik ohne ein „inneres Singen“ nicht bewusstseinsfähig ist. Wie ein „inneres Sprechen“ erst Denkakte zu Bewusstseinsakten werden lässt, so eröffnet erst ein inneres Singen der Musik einen Zugang zu unserer bewussten Wahrnehmung und Verarbeitung. Diesem inneren Singen spürt meine Musik nach. Im ganzen Zyklus der „songlines“, so auch im hier erklingenden Violin-Solo der „songlines I“, ist die Instrumental-Stimme metrisch frei notiert, es gibt auch für die mehrstimmigen Teile des Zyklus keine Partitur, welche eine vertikale Ordnung vorgibt. Diese Notationsform, in der Tonhöhe, Dynamik und Agogik bestimmt sind, die rhythmisch-metrische Organisation aber sehr frei belassen wird, zielt darauf, die geistig-gestische Freiheit der MusikerInnen in der Gestaltung der jeweiligen Linie nicht zu beengen. Diese freie Notation fordert den Interpreten, die Interpretin heraus, in der Auseinandersetzung mit dem Text ihre, seine „eigene Stimme“ zu finden und zu artikulieren, um so den Gehalt der Musik zur Sprache zu bringen. (Nikolaus Brass )
Nikolaus Brass begann frühzeitig zu komponieren.[1] Nach dem Abitur 1968 absolvierte er in München, Schottland und an der Freien Universität Berlin ein Medizinstudium. Komposition studierte er bei Peter Kiesewetter in München, bei Frank Michael Beyer an der Universität der Künste Berlin und bei Helmut Lachenmann in Hannover. 1980–86 nahm er an den Darmstädter Ferienkursen teil. Dort begegnete er Morton Feldman, der sein weiteres musikalisches Denken und Schaffen nachhaltig beeinflusste.[2] Lange Jahre arbeitete Brass als Mediziner – zunächst als Klinikarzt, ab 1982 als Redakteur der Fachzeitschrift Ärztliche Praxis – und parallel als Komponist. Die „konkrete Konfrontation mit der existenziellen Zerbrechlichkeit des menschlichen Daseins, mit Aufbruch und Glück, aber auch Schmerz, Siechtum und Tod fungierte wie ein Kompass bei der Suche nach Ausdruck.“ Charakteristisch für seine Musik wurden „fließende Zeitprozesse, Fragen von Ordnung und Störung, das […] Abtasten der akustischen Außenfläche nach dem, was sie als Widerhall in sich birgt sowie Aspekte der menschlichen Existenz“ in einem „permanenten Kreisen von Verlieren und Wiederfinden. Seit 1981 werden Brass’ Werke regelmäßig auf Festivals aufgeführt. 2008 stand sein Schaffen im Mittelpunkt der Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik. Seine Kompositionen Void (für Klavier) und Void II (für Soli und Orchester) – so benannt nach den Voids, den „leeren Stellen“ im Jüdischen Museum Berlin, die an den Verlust von Leben, Kultur und Erinnerung durch die Schoa gemahnen – wurden 2009 bei den Klangwerktagen in Hamburg einer Gemeinschaftskomposition von Jugendlichen, die sich mit demselben Thema auseinandergesetzt hatten, gegenübergestellt. In einem begleitenden Podiumsgespräch diskutierten der Architekt des Jüdischen Museums, Daniel Libeskind, und Nikolaus Brass über Formen des Gedenkens in Architektur und Musik. Naji Hakim Fantasia on painting by Edvard Munch "Younge people on the beach" (2010) für Violine solo Edward Munchs Gemälde „Junge Menschen am Strand“ zeigt einen Strand mit nachdenklichen jungen Leuten an einem friedlich-melancholischen Wochenendabend. In der Mitte des Bildes sitzt eine rothaarige Frau in einem weißen Kleid und einem lustigen roten Hut neben einem Prahm, links im Bild sieht man die ruhige See in kalten bläulichen Farben und rechts grüne, lebendige Farben. Die Atmosphäre dieses Bildes hat mich dazu bewegt, eine nostalgische Fantasie für die Violine zu schreiben. Die melodische Entwicklung mit ihren kontrastreichen Motiven lässt Anspielungen auf die dänischen und norwegischen Volksweisen Det var en lørdag aften und Per spelmann erkennen. In den Schlusstakten wird Maurice Ravels Ostinato-Motiv aus Prélude de la Nuit zitiert. Übersetzung: Esther Dubielzig
Naji Hakim war Schüler von Jean Langlais und studierte am Conservatoire de Paris bei Roger Boutry, Jean-Claude Henry, Marcel Bitsch, Rolande Falcinelli, Jaques Castérède und Serge Nigg. 1983 erhielt er den 1. Preis für Interpretation beim St Albans International Organ Festival. Von 1985 bis 1993 war er Organist an der Basilika Sacre Coeur in Paris, danach als Nachfolger von Olivier Messiaen Organist von La Trinité (Paris) (1993–2008). Er ist Theorieprofessor am Conservatoire National de Région de Boulogne-Billancourt und wirkt als Gastprofessor und seit 2004 composer in residence der Royal Academy of Music in London. Er erhielt Preise bei internationalen Orgelwettbewerben in Haarlem, Beauvais, Lyon, Nürnberg, St Albans, Straßburg und Rennes. Mit der Symphonie en Trois Mouvements gewann er 1984 den Kompositionswettbewerb der Amis de l’orgue, mit The Embrace of Fire 1986 den ersten Preis der International Composition Competition for organ in memory of Anton Heiller in Collegedale/Tennessee, 1991 den Prix de Composition Musicale André Caplet der Académie des beaux-arts. 2002 wurde er Ehrendoktor der Universität St. Esprit in Kaslik (Libanon). 2007 wurde ihm von Papst Benedikt XVI. der Orden Pro Ecclesia et Pontifice verliehen. Hakim komponiert Orchesterwerke und Instrumentalkonzerte, Orgelstücke, Kammermusik, Messen und andere kirchenmusikalische Werke. Gabriel Iranyi Verborgene Landschaften (2014) für Violine solo In meinem Stück Verborgene Landschaften für Violine solo (2014) habe ich versucht besondere Bereiche der Klangfarben und Artikulation zu beleuchten, deren Kausalität sich in den kleinsten Klangpartikel verbergen. Im I. Satz, Corrente verbinden sich Klangfarben mit Bewegungsimpulsen, im II. Satz, Lento tranquillo alternieren Kantilene, mikrotonale Zweistimmigkeit und flüchtigen Flageoletten und im III. Satz, Presto eine äußerste Geschwindigkeit erreicht wird, die die unterschiedlichen Gruppierungen in eine berauschende Sukzession verschmelzen lässt. Gabriel Iranyi wurde in Klausenburg (rumänisch Cluj-Napoca, Siebenbürgen) Rumänien geboren. Er studierte Komposition an der „George Dima“ Musikakademie in Klausenburg bei Sigismund Todutza (einem früheren Schüler von Pizetti und Casella). 1971 erhält er eine Professur für Kontrapunkt (Renaissance, Barock und XX. Jahrhundert) in Jassy an der „George Enesco“ Musikuniversität. 1978 und 1984 nahm er als DAAD-Stipendiat an den Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, in der Kompositionsklassen von Helmut Lachenmann, Brian Ferneyhough und Christobal Halffter teil. Besonders prägend waren für ihn die Begegnungen mit György Ligeti, György Kurtág, und Morton Feldman. Seit 1988 lebt Iranyi als freischaffender Komponist in Berlin. 2010 bis 2016 wurde er als stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Komponistenverbandes Berlin gewählt. 2000 promoviert Iranyi im Fach Musikwissenschaften. Seitdem hielt er zahlreiche Vorträge über Neue Musik und eigene Werke an Musikuniversitäten „Hanns Eisler“ Berlin, New York, Wisconsin, „Carl-Ossietzky“ Oldenburg, Rostock, Bukarest und Klausenburg und bei der Landesmusikakademie Berlin und EPTA-Bonn (European Piano Teachers Association). Über seine Konzepte sagt Gabriel Iranyi: „Viele meiner Werke sind auf zwei Dimensionen projiziert: Einerseits nimmt man die Emotionen und Gefühle des musikalischen Gestus unmittelbar wahr - vergleichbar dem abstrakten Expressionismus von Mark Rothko - andererseits weisen die Netzgewebe und Klangfelder eine fein strukturierte Schichtung auf.“ Mehrere CD-Veröffentlichungen bei kreuzberg records Berlin, Hungaroton Classic und stan records. Laura Konjetzky Der dunkle Kreis am Horizont (2019) für E-Geige und Zuspielung Kannst du ihn hören? Den dunklen Kreis am Horizont? „Der dunkle Kreis am Horizont“ für E-Geige Solo und Zuspielung ist eine musikalische Reise zwischen sehnsüchtiger Vision und düsterer Vorahnung. Die E-Geige ist die Tür zu einer neuen Klangsprache der Geige. Unterschiedliche Klangräume werden auf dem Weg zum dunklen Kreis am Horizont durchquert. Ausgangslage für dieses Werk war die Idee ein großes Solowerk für Violine zu komponieren. Daraus entwickelte sich die Entscheidung ausschließlich mit E-Geige zu arbeiten. Die Pianistin und Komponistin Laura Konjetzky studierte an der Universität Mozarteum Salzburg und an der Hochschule für Musik Basel. Als Komponistin schrieb sie zahlreiche Solo- und Kammermusikwerke. Außerdem komponierte sie Tanz- und Theatermusiken, unter anderem für das Bayerische Staatsschauspiel, das Theater Bremen, das schauspielfrankfurt, das choreographische Projekt Heinrich tanzt! von Fokus Tanz – Tanz und Schule e.V., sowie die compagnie Anna Konjetzky. Regelmäßig führt sie Schul-Kompositionsprojekte durch. Für ihr Schaffen wurde die Künstlerin mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so dem Leonhard-und-Ida-Wolf-Gedächtnispreis für Musik der Landeshauptstadt München, dem Bayerischen Kunstförderpreis und dem Musikstipendium der Landeshauptstadt München. Sie war Stipendiatin im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia Bamberg und erhielt vom Bayerischen Staatsministerium ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in der Cité Internationale des Arts Paris. Für das Djerassi Resident Artists Program in Kalifornien, USA wurde Laura Konjetzky als Komponistin ausgewählt und mit dem Helen L. Bing Fellowship ausgezeichnet. Sie erhielt das Europäische Musikautoren-Stipendium der GEMA (EMAS) und das Internationale Stipendium Oberpfälzer Künstlerhaus im Virginia Center for the Creative Arts (VCCA), Virginia, USA |