Zuwanderungen -
Musik Berliner Komponistinnen
Verdina Shlonsky
Pages from the Diary (1949)
Dream
Vision
Grotesque
Song
Meditation
Good Humor
Twilight
Remembrance
Merry-Go-Round
Charakteristische
Eigenschaften des Stils von Verdina Shlonsky sind Polytonalität, die
Verwendung volkstümlicher Elemente (hauptsächlich aus der russischen,
der ukrainischen und der Klezmer- Tradition) und die Anspielung auf
Musik anderer Komponisten. Im Zyklus Pages from the Diary (Seiten aus
dem Tagebuch) (1949) verweist sie auf Musik von Bartók, Strawinsky,
Debussy und Webern. In den neun kurzen Stücken gibt es toccatenartige
Passagen, melancholische Bearbeitungen von Volksliedern und mehrere
polytonale Strukturen. Die Verbindung traditioneller und sehr moderner
Elemente geht auf Erfahrungen und Beobachtungen zurück, die Verdina
Schlonsky seit ihrer Kindheit gemacht hat. Ihr Vater Tuvia war Anhänger
der konservativen hassidischen Bewegung; ihre Mutter Tzippora diente im
Gegensatz dazu mit ihrem ganzen Herzen der russischen Revolution.
Verdina
Shlonsky (1905-1990), die erste israelische Komponistin, ist sowohl
professionellen Musikern als auch dem breiten Publikum weitgehend
unbekannt. In Krementschuk im Russischen Reich geboren, konnte sie ihre
musikalische Ausbildung in Wien fortsetzen, als ihre Familie 1921 nach
Palästina zog. Anschließend studierte sie in Berlin bei Arthur Schnabel
und Egon Petri. Neun Jahre später fasste sie den Entschluss, sich der
Komposition zu widmen. Sie ging nach Paris, um weitere fünf Jahre mit
Nadia Boulanger, Max Deutsch und Edgar Varèse zu studieren. Seit dieser
Zeit führte sie eine Korrespondenz mit führenden Künstlern in Europa, u.
a. mit Pierre Boulez, Marc Chagall, Henri Dutilleux, Georges Enesco,
Jascha Heifetz, Yehudi Menuhin, Darius Milhaud und Igor Strawinsky.
Während der Kriegsjahre lebte sie zuerst in London und verdiente ihren
Unterhalt als Näherin und Café-Pianistin. Durch die politische Situation
in Europa war Verdina Shlonsky gezwungen, nach Tel Aviv zu ziehen.
Obwohl sie mit mehreren ersten Preisen ausgezeichnet worden war (u. a.
beim Pariser Wettbewerb für Komponistinnen und beim Internationalen
Bela-Bartók-Wettbewerb in Budapest), wurde sie als Komponistin in ihrer
neuen Heimat nicht akzeptiert; ihre Musik mit ausgeprägtem europäischen
Fundament blieb in Israel fremd. Kritisiert wurde auch ihr fehlendes
Interesse an der „muzika mizrahit“, einer Form der
jüdisch-orientalischen Musik. Und nicht zuletzt fehlte es in einer
patriarchalisch orientierten Gesellschaft an Akzeptanz für eine
Komponistin, die als Frau ihre künstlerische Unabhängigkeit leben
wollte. Bis zum Ende ihres Lebens hat sie ihren Unterhalt nur durch
Klavier- und Zeichenunterricht verdient. Sie starb 1990 in ihrer
Wohnung, arm und einsam. Als musikalisches Erbe blieben ihre Kantaten,
unzählige Lieder, Klavierkonzerte, Bühnenmusik, Kammermusik und nicht
zuletzt ihr umfassendes Œuvre für Klavier solo.
Unsuk Chin
Etude Nr. 4 (Scalen) (1995/2003)
Etude Nr. 4 (Scalen) ist eine Auftragskomposition der Washborn University und gehört zum Zyklus «12 Piano Etudes».
Unsuk
Chin wurde in Seoul geboren und studierte bei György Ligeti in Hamburg,
lebt nun in Berlin. Sie ist die Trägerin des Grawemeyer Award 2004 für
ihr Violinkonzert sowie des Arnold Schönberg Preises 2005 und des
Heidelberger Künstlerinnenpreises 2007. Ihr Schaffen umfaßt sowohl
elektronische als auch akustische Kompositionen. Für ihre Werke gewann
sie weltweite Aufführungen durch führende Orchester, Ensembles für Neue
Musik sowie Solisten * zu den Interpreten ihrer Musik zählen Dirigenten
u.a. wie Kent Nagano, Sir Simon Rattlesowie die Geiger Viviane Hagner
und Christian Tetzlaff; ihre Werke wurden u.a. vom Bayerischen
Staatsorchester, den Berliner Philharmonikern, dem Chicago Symphony
Orchestra gespielt, ebenso vom Ensemble Intercontemporain, der London
Sinfonietta, dem Ensemble Modern und dem Kronos Quartet.
Ursula Mamlok
2000 Notes (2000)
I Gruff
II Quarter Plus Sixteenth Equals 72 Plus
III Quarter Equals
IV Dotted Eighth Equals 100
Mamloks
Werk 2000 Notes aus dem Jahr 2000 ist eine vierteilige Suite von
außerordentlicher Klarheit und ausgewogenem Klang. Es ist ausgezeichnet
durch einen komplexen Rhythmus, der organisch mit der Hauptstruktur der
Sätze verwoben ist. Die vier Sätze sind in nahezu klassischer Form
komponiert: es treten in Miniaturform ein Sonatenallegro, ein Scherzo,
ein langsamer Satz und ein Finale auf. Durch die Positionierung des
Scherzos an zweiter Stelle wird der langsame Satz zum Mittelpunkt des
Zyklus.
Aufgrund
ihres jüdischen Erbes war Ursula Mamlok gezwungen, Europa 1939 zu
verlassen. In New York erhielt sie Kompositionunterricht u. a. bei Roger
Sessions und Ralph Shapey und Klavierunterricht bei Eduard Steuermann.
Die Begegnung mit Ernst Krenek und der Musik Arnold Schönbergs 1944 im
Black Mountain College war der Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der
Dodekaphonie. Im freien Umgang mit der Zwölftontechnik entwickelte sie
einen eigenen Stil. Ursula Mamloks Werke sind kurz und auf das
Wesentliche konzentriert, und doch schafft die Komponistin einen
sinnlichen Klangfarbenreichtum, der von spannungsreichen Kontrasten
geprägt ist. In den USA wurden ihre Werke von bekannten Ensembles,
darunter «Group of Contemporary Music», «Continuum» oder «Music in Our
Time» aufgeführt. Zu ihren bedeutendsten Werken zählen: Sextett (1977);
Der Andreasgarten (1987), ein Gemeinschaftswerk mit ihrem Mann Dwight
Mamlok, der die Gedichte dazu schrieb; schließlich ihr Hauptwerk
Constellations (1991) für großes Orchester. Ursula Mamlok lehrte an der
Manhattan School of Music Komposition, ihre Werke wurden von C. F.
Peters und Boosey & Hawkes veröffentlicht. 2006 entschloss sie sich,
nach Berlin zurückzukehren, wo ihr der Start in eine zweite Karriere
gelang. Ihre Kompositionen wurden von Heinz Holliger, Kolja Lessing,
Hartmut Rohde, Holger Groschopp, Spectrum Concerts Berlin, modern art
ensemble u. v. a. aufgeführt.
Margarete Huber
Green (2018)
Die
Komposition „GREEN“ ist Fidan Aghayeva-Edler gewidmet, und wurde im
März 2018 am „Orléans Concours International de Piano“ in Frankreich
uraufgeführt. „GREEN“ ist eine Art Gespräch der Pianistin mit sich
selbst, über ihre Vergangenheit, besondere Erinnerungen, widerstreitende
Gefühle, Schmerzhaftes und Erlösendes. Ausgangspunkt des Komponierens
waren Fragen an die Pianistin zur persönlichen Geschichte ihrer
Migration, zu akustischen Erinnerungen, und zum Thema „Innere
Migration“. Die Komposition spielt mit den Ebenen des Live-Klaviers und
den Klavierklängen des Zuspiels. Polyharmonik, Polyrhythmik,
Cluster-Klänge, Triller-Flächen, harmonische Überlagerungen, die
explizite Nutzung aller Tasten des Klaviers vom tiefsten bis zum
allerhöchsten Ton, ungewöhnliche Form-Verläufe, und eine abstrahierende
Auseinandersetzung mit aserbaidschanischer Mugham-Musik, waren dabei im
Zentrum der kompositorischen Arbeit. Konkretes wie etwa „Klänge von
Stöckelschuhen auf den staubigen Straßen Bakus“ lösen sich dabei als
pulsierend- rhythmische Felder in der Abstraktion auf, melodische
Fragmente und Verzierungen werden zu gestischen Parametern, harmonisch
Stabiles wird stetig in Bewegung gebracht, feste Bezüge verschieben
sich, und es bilden sich neue Korrespondenzen und Konturen.
Margarete
Huber, Komponistin und Sängerin (Berlin). Studium an UdK und HU Berlin
und in Bremen. Meisterkurse bei György Kurtag, Barbara Schlick und Nigel
Rogers. Internationaler Musikwettbewerb für Junge Kultur (2.Preis),
Prix Marguerite de Reding (1.Preis), Infernale (1.Preis) Stipendien:
Musiktheater-Akademie Festspielhaus Hellerau, Kunstfestival Begehungen,
Markel-Stiftung, Förderungen: Berliner Hauptstadtkulturfonds (2x),
Guardinistiftung. Kompositionen für Konzert, Oper, Musiktheater,
Orchester und Elektronik. Gesang in Opern und Konzerten aller Epochen,
über 60 Uraufführungen. Aktuelle Werke: Kammeroper "Schattenlos" (
Schlossplatztheater/ Junge Oper Berlin, Streichtrio "Jetzt" ( Festival
Klangwerkstatt), "Green" ( Orléans Concours de piano). Aufführungsorte:
Festspielhaus Hellerau Dresden, Konzerthaus Berlin, Festival Randspiele,
Unerhörte Musik, Festival Diagonale, Musica Antiqua Montenegro,
Schlossplatztheater /Junge Oper Berlin, Tonlagen Festival, Sophiensäle
Berlin, Musiktheatertage Wien, Deutschlandfunk Kultur,Theaterfestival
München, Transartfestival, Greek opera Festival, Woodhouse opera London,
Staatsoper Hamburg, Schlosstheater Rheinsberg u.v.m.
Sarah Nemtsov
Passacaglia (2015)
«Passacaglia», Auftrag der Festspiele Europäische Wochen Passau e.V.
«Silence is so accurate.» (Mark Rothko)
«Die
Form der Passacaglia ist subkutan - «archäologisch» wird sie mit den
Klängen freigelegt, verschiedene «Fundstücke» tauchen auf, Fossilien
quasi, im Gestein, die ursprüngliche Form wird aber nicht mehr
vollständig zu rekonstruieren sein.»
Sarah
Nemtsov wurde 1980 in Oldenburg geboren. Sie studierte Komposition in
Hannover und Berlin bei Nigel Osborne, Johannes Schöllhorn und Walter
Zimmermann. Sie erhielt zahlreiche Preise, darunter 2012 den Deutschen
Musikautorenpreis der GEMA und 2013 den Busoni-Kompositionspreis der
Akademie der Künste Berlin. 2016 gewann sie den internationalen
RicordiLAB Kompositionswettbewerb, 2018 den Oldenburger
Kompositionspreis. Sie arbeitet mit namhaften Ensembles und Orchestern
zusammen (u.a. Ensemble Adapter, ensemble mosaik, Neue Vocalsolisten
Stuttgart, Lux:NM) und ihre Werke werden bei international renommierten
Festivals aufgeführt (u.a. Donaueschinger Musiktage, Ultraschall,
MaerzMusik Berlin, Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, ECLAT, Wien
Modern, Bregenzer Festspiele). Sarah Nemtsovs Musik ist häufig von der
Auseinandersetzung mit Literatur geprägt. Immer wieder versucht sie, die
Schwelle zwischen Konzert und Musiktheater auszuloten. Urbanität,
Gleichzeitigkeit und chaotische Formen beschäftigen sie in ihren
neuesten Kompositionen, in denen auch Elektronik eine wichtige Rolle
spielt, wichtiger wird auch das Politische.
Ruth Zechlin
Drei Minuaturen (1989)
«Die
`Drei Miniaturen` waren kleine Gelegenheitsgedanken, gezielt für
Freunde geschrieben. Als mich mein Freund Hans Werner Henze um einen
musikalischen Beitrag für sein Musikfest in Montepulciano bat, fasste
ich drei Miniaturen zusammen und überließ ich ihm. Deshalb wurden diese
frei-notierten Stücke in Italien uraufgeführt.»
Ruth
Zechlin (1926 - 2007) war eine deutsche Komponistin, Cembalistin und
Organistin. Sie gehörte zu den wichtigsten Komponistinnen Deutschlands.
Im Jahr 1990 war sie Rektorin der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“
Berlin und von 1990 bis 1993 Vizepräsidentin der Akademie der Künste zu
Berlin. Ihre Werkliste umfasst mehr als 300 Werke unterschiedlichster
Besetzung. Für ihr vielseitiges Schaffen erhielt sie mehrere Ehrungen
und Auszeichnungen, so u.a. 1965 den Kunstpreis der DDR und 1997 das
Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der BRD.
Naomi Pinnock
Lines and Spaces (2015)
«Lines and Spaces», ein Auftragskomposition von Royal Philharmonic Society.
«Während
ich diese Miniaturen komponierte, kam ich immer wieder zu Agnes Martins
äußerst einfachen Gemälden zurück. Sie haben mir immer wieder gezeigt,
wie viel mit Linien und Räumen möglich ist. Sie sind nur Gitter und
Linien, und dennoch erwecken sie viel mehr durch die zarte Farbschicht
und schöne Unvollkommenheiten. Diese Miniaturen schwanken zwischen
Komprimieren oder Ausdehnen, wodurch eine fette Linie oder subtile
Bänder von schwachen Farben erzeugt werden.»
Naomi
Pinnock wurde 1979 in West Yorkshire (UK) geboren. Sie studierte
Komposition bei Wolfgang Rihm an der Hochschule für Musik Karlsruhe,
Harrison Birtwistle am King College London und bei Brian Elias an der
Royal Academy of Music in London. Mit dem Schwerpunkt, Musik auf das
Wesentliche zu reduzieren, wurde ihre Arbeit als "rätselhaft"
(«enigmatic») und mit "großer Intensität" beschrieben. Sie hat mit
Arditti Quartett, der London Sinfonietta, den Neuen Vocalsolisten
Stuttgart, der Schola Heidelberg und dem Kammerensemble Neue Musik
Berlin zusammengearbeitet. Ihre Arbeiten wurden auf verschiedenen
internationalen Musikfestivals aufgeführt, darunter Wittener Tage für
neue Kammermusik, ECLAT Festival Stuttgart, Heidelberger Frühling,
Festival Musica in Straßburg und Spitalfields Festival London.
Mayako Kubo
Berlinisches Tagebuch (1989/1990)
Nr. 1 Ein Walzer, 7. Mai 1989
Nr. 3 Montaru 3b, 22. Juni 1989
Nr. 7 Die Berliner Luft, 12. Dezember 1989
«Als
ich zum Jahreswechsel 1988/1989 einen großen Terminkalender geschenkt
bekam, fing ich an, wieder Tagebuch zu führen. Die Jahre ´89 und ´90
waren für Berlin — und auch für mich — eine bewegte Zeit. In das
Tagebuch habe ich sowohl private Begebenheiten, bzw. Gedanken und
Gefühle, als auch äußere Ereignisse aufgezeichnet. Es ist interessant zu
beobachten, wie weit ich in meinem Tagebuch absolut ehrlich schreiben
kann, vorausgesetzt, daß es keiner zu lesen bekommt. Bei aller
Flüchtigkeit der Aufzeichnungen besteht doch immer wieder die Gefahr,
sie auszuschmücken. Musikalisch habe ich nun versucht, mein Tagebuch von
1989 und 1990 sinngemäß zu vertonen. Ich habe einige für mich wichtige
Tage ausgewählt und dazu jeweils ein bestimmtes Tonmaterial gesetzt.
Ähnlich wie beim Tagebuch habe ich versucht, ganz direkt zu komponieren,
ohne mich um Fragen der musikalischen Rhetorik zu kümmern: die Töne
ereignen sich so wie die Begebenheiten sich ereignet haben, auf die sie
sich beziehen.»
«Montaru
3b» ist ein Fantasietitel von Willi Baumeister. Er war ein Maler in der
Zeit von Bauhaus und befreundet mit Kandinsky und den anderen
Künstlern. Ein Bild von ihm heisst Monteur 3b. Ich habe dazu ein
Theaterstück geschrieben und das Klavierstück ist daraus entstanden.»
Mayako
Kubo ist eine Komponistin japanischer Herkunft, die jedoch künstlerisch
dem europäischen Erbe und der musikalischen Moderne eng verbunden ist.
Ihr Œuvre umfasst rund 130 Werke fast aller Gattungen. Der Oper kommt
dabei besondere Bedeutung zu. Die Uraufführung von Rashomon 1996 in Graz
und die der japanischen Fassung 2002 in Tokio begründeten ihren Ruf als
bedeutendste japanische Komponistin. Osan – Das Geheimnis der Liebe,
ihre zweite Oper, kam 2005 in Tokio ebenfalls mit großem Erfolg zur
Uraufführung. 2010 feierte Der Spinnfaden in Berlin Premiere, eine Oper
für junge Musiker. Derzeit schreibt Kubo an ihrer vierten Oper, Izanagi,
einem Stoff aus der japanischen Mythologie. Ein weiteres Bühnenwerk
über den Fall John Rabe und das Massaker von Nanking ist bereits in
Vorbereitung.
Mayako
Kubo lebt in Berlin. Ihre Werke erscheinen im Verlag Neue Musik, beim
Ariadne Musikverlag sowie bei Breitkopf & Härtel.
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